Midsommar (2019)

Filmkritik

Geschrieben am 28.10.2020 von Kilian Atzenhofer

Ob in Wäldern, Schächten, Kellern oder im Traum, die Dunkelheit scheint für Filmemacher auf der ganzen Welt das perfekte Medium zu sein, um Zuschauer rasch tiefer in ihren Sitzen versinken zu lassen.

Mit der Handlung hat es sich nicht schwer.

Obwohl er schon eine lange Zeit mit dem Gedanken spielt, ist es für Christian nun unmöglich, mit seiner Freundin Dani Schluss zu machen, nachdem diese eine entsetzliche Tragödie durchlebt. Von Sorge und schlechtem Gewissen geplagt, lädt Christian Dani nach Schweden ein, wo er mit seinen Freunden Mark, Josh und Pelle eine gleichermaßen lehrreiche, wie entspannende Zeit bei einem nur alle 90 Jahre stattfindenden Fest von Pelle`s Familie verbringen will. Und wie zu erwarten laufen die Dinge nicht ganz, wie geplant…

Kaum in Schweden, aber noch nicht bei der Gemeinschaft angekommen, werden schon die ersten Halluzinogene konsumiert, bei denen Ari Aster und sein Team in einer wahrlich fantastischen Szene ohne jegliche Effekthascherei Danis Rausch so erfahrbar für den Zuschauer machen, wie nur irgend möglich.

Mit der Kommune verhält es sich allerdings etwas komplexer, als ich es vermutet hätte. Während sich in anderen Filmen dieser Art nur oberflächlich zutraulich verhalten wird und die eigentliche intrigante Ader der Bewohner hinter geschlossenen Türen zutage kommt, versucht Ari Aster mit offenen Karten zu spielen. Geschlafen wird in einem großen Saal, gekocht wird nur gemeinsam und Geheimnisse bzw. Einschränkungen scheint es nicht zu geben. Die Kehrseite der Münze ist wiederum eine an sich tolle Mischung aus subtiler und zeitgleich penetranter Aufdringlichkeit und Isolierung, die leider teilweise von stark brachialen Momenten etwas aus dem Rhythmus gerät. Einerseits wirkt diese vollkommene Transparenz an manchen Stellen sehr verstörend, andererseits leidet die Intensität in diesen Momenten etwas darunter.

Die dysfunktionale Beziehung zwischen Dani und Christian stellte für mich definitiv das Highlight des Films dar. Als eines der bedrückensten Geschehnisse empfindet man dabei die zunehmende körperliche und seelische Entzweiung der Beiden.
Und gerade das wird zu einem Kritikpunkt und einem wichtiger Hinweis für jeden, der es in Erwägung zieht, den Film zu sehen.

Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass es sich bei “Midsommar“ um keinen Horrorfilm im klassischen Sinn handelt. Vielmehr ist es ein Drama, welches sich mit Themen wie Verlust, Trauer und Geborgenheit auseinandersetzt. Wer hier Schocker oder Grusel sucht, ist, genau wie ich es war, an der falschen Adresse.
Daraus resultiert schnell, dass der Film einen verhältnismäßig kurzen und eher schwach definierten Spannungsbogen hat. Wenn Flötenspielereien, Tänze und der Verzehr von dubiosen Nahrungsmitteln auch noch beginnen, sich stark zu wiederholen, verlieren diese Szenen leider zunehmend an dem gewissen Etwas.

Trotz des (scheinbar) starken visuellen und thematischen Unterschieds der beiden Filme merkt jeder, der “Hereditary“ gesehen hat nach spätestens fünf Minuten, dass es sich bei “Midsommar“ um einen Ari Aster Film handelt.
Die Eröffnungsszene würde ich dabei gerne noch stark hervorheben. Sie ging mir so sehr unter die Haut, dass mein Kopf schon nach kurzer Zeit (im positiven Sinne) rauchte.
Kamera, Musik, Licht und Kostüm- bzw. Setdesign sind tadellos aufeinander abgestimmt. Hinzu kommt noch Florence Pugh, die sich – ebenso wie Toni Collette in “Hereditary“ – so fantastisch um den Verstand spielt, dass es schon zu einem Muss wird, sich diesen Film anzusehen.
Schraubt man dann noch die Erwartungen auf einen spannungsgeladenen Horror zurück und begibt sich ohne spezifische Erwartungen in die fähigen Hände Ari Asters, der schon mit seinem zweiten Film einen unverwechselbaren Stil entwickelt hat, dann steht einem sehr starken Filmabend nichts mehr im Weg.

PS: Genau wie sein Vorgänger spielt “Midsommar“ mit jeder Menge Symbolik, die den Film für eine zweite Sichtung sehr empfehlenswert machen.

Midsommar (2019)

Veröffentlichung

26. September 2019

Regie

Ari Aster

Laufzeit

148 Minuten

Besetzung

Florence Pugh: Dani Ardor
Jack Reynor: Christian

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